Käte Hamburger Kolleg wird mit Ausstellung „The True Size of Africa“ in Völklinger Hütte offiziell eröffnet


Das Käte Hamburger Kolleg für kulturelle Praktiken der Reparation CURE ist
ein geisteswissenschaftliches Leuchtturmprojekt der Universität des
Saarlandes. Kern des Kollegs ist die kulturwissenschaftliche
Spitzenforschung zur Reparationsproblematik, etwa zu der Frage, wie die
während der Kolonialzeit in Afrika begangenen irreparablen Verbrechen
erinnert und bearbeitet werden können. Kunst und Kultur spielen hierbei
die zentrale Rolle, die das Kolleg über „Artists in Residence“ auch in die
Forschung einbindet.
Die Ausstellung „The True Size of Africa“ im UNESCO-Weltkulturerbe
Völklinger Hütte bietet hierfür viel Diskussionsstoff. Sie ist mit dem
Käte Hamburger Kolleg entwickelt worden, das bei der Vernissage am 8.
November offiziell eröffnet wird.
Für die Ausstellung „The True Size of Africa“, die auf Initiative und in
der Verantwortung des UNESCO-Weltkulturerbes Völklinger Hütte entstanden
ist, konnten namhafte Künstlerinnen und Künstler aus Afrika und der
globalen Diaspora gewonnen werden. Sie zeigen nicht nur ihre Kunstwerke
der vergangenen Jahrzehnte, sondern stellen eigens für die Ausstellung
konzipierte Gemälde sowie Sound- und Rauminstallationen aus. „Vor 140
Jahren, im November 1884, wurde in Berlin die so genannte Kongo-Konferenz
eröffnet, auf der die europäischen Imperialmächte die Aufteilung des
afrikanischen Kontinents vorbereitet haben. Mit dem ‚Museum of
Memorability‘ reflektieren wir daher eine Beziehungsgeschichte, die
kolonial und rassistisch geprägt ist. Wir befassen uns dabei mit
Vorstellungen, die der kulturellen Bedeutung des heterogenen
Gesellschafts- und Kulturraums des afrikanischen Kontinents bis in unsere
Gegenwart nicht gerecht geworden sind. Die Kunst afrikanischer Gegenwart,
die die Völklinger Hütte weiträumig bespielt, spricht dann für sich“, sagt
Markus Messling, Professor für Romanische und Allgemeine Literatur- und
Kulturwissenschaft. Er leitet gemeinsam mit Christiane Solte-Gresser,
Professorin für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, das
Käte Hamburger Kolleg an der Universität des Saarlandes.
Beide haben mit ihrem Team und den Gastwissenschaftlern, die bereits
während der Aufbauphase des Kollegs im Saarland forschen konnten, an der
Konzeption der Ausstellung mitgewirkt. Gemeinsam mit Dr. Ralf Beil, dem
Generaldirektor des UNESCO-Weltkulturerbes Völklinger Hütte, geben Markus
Messling und Christiane Solte-Gresser auch den reich bebilderten
Ausstellungskatalog heraus, der gegen Jahresende erhältlich sein wird
(siehe hierzu auch die Pressemitteilung der Völklinger Hütte). Zum Katalog
haben zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des KHK-
Netzwerks beigetragen, etwa Elara Bertho, Forscherin des Instituts „Les
Afriques dans le Monde“ in Bordeaux und eine der ersten Fellows am
Saarbrücker Käte Hamburger Kolleg, sowie Souleymane Bachir Diagne,
Professor an der Columbia University in New York und Vorsitzender des
Wissenschaftlichen Beirats. Diagne, einer der großen afrikanischen Denker
unserer Zeit, wird zudem die Eröffnungsrede am 8. November in der
Völklinger Hütte halten.
Die in London lebende Franko-Algerierin Zineb Sedira hat auf der 59.
Kunstbiennale in Venedig den Französischen Pavillon in den Giardini
bespielt. Géraldine Tobe Mutamande aus Kinshasa hatte unlängst eine
Ausstellung im belgischen Africa Museum Tervuren. Wie die in Berlin
lebende Namibierin Memory Biwa zeigen sie ihre Installationen und Gemälde,
etwa „Ozerandu“, „Vue de l’au-delà“ und „Standing Here Wondering Which Way
to Go“, die sie auf Einladung des Käte Hamburger Kollegs im Rahmen eines
Aufenthaltes als „Artists in Residence“ in der Hütte erarbeiten oder neu
gestalten konnten. „Wir wollen damit die vielfältige Kultur Afrikas
sichtbar machen, deren Wahrnehmung nach wie vor durch die koloniale
Vergangenheit Europas und ihre immer noch nachwirkenden Denkmuster geprägt
ist. Selten wurde afrikanische Gegenwartskunst wohl so umfassend gewürdigt
und einer breiten Öffentlichkeit präsentiert“, sagt Christiane Solte-
Gresser. Auch andere Künstlerinnen und Künstler wie der in Berlin lebende
nigerianische Künstler Emeka Ogboh, die Kongo Astronauts oder Kaloki
Niamay aus Nairobi wurden auf Empfehlung des Käte Hamburger Kollegs in die
Ausstellung eingeladen.
Die Gastwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der Aufbauphase des Käte
Hamburger Kollegs haben sich unter anderem mit Reparationsfragen in
Ländern wie Namibia, der Demokratischen Republik Kongo, Guinea und
Hongkong sowie mit Problemen der Restitution von Büchern als Kriegsbeute
in Europa beschäftigt. Die zwölf Fellows, die seit Anfang Oktober für ein
Jahr am Kolleg tätig sind, stammen unter anderem aus dem Iran und dem
Libanon, aus Uganda und Haiti, Mexiko und den USA, Bosnien und
Deutschland. „Ihre Projekte befassen sich mit vielfältigen Themen wie
Riten der Befriedung in Uganda, der Darstellung verletzter Rechtsgefühle
in der Literatur oder der Neugestaltung von Lebensformen im ökologisch
durch die Golfkriege verwüsteten Grenzraum zwischen Iran und Irak. Darüber
hinaus werden Fragen danach aufgeworfen, wie sich die kulturellen
Kriegsschäden in der Ukraine greifen lassen oder wie ein Leben in Ruanda
nach dem Völkermord möglich ist, dessen Hintergründe noch immer
gerichtlich geklärt werden“, erklärt Markus Messling.
Ausgangspunkt der Forschung von Fellows und Team ist der Blick auf die
vielen Verletzungen und Beschädigungen in der Welt, die nicht mehr
rückgängig gemacht werden können, etwa die Zerstörung von Kulturgütern in
kolonisierten Gebieten, Kriegstraumata oder die Folgen des Klimawandels.
„Aus der Unwiderruflichkeit der Verletzungen entsteht die Frage, ob und
wie aus der Erfahrung einer von Gewalt, Unrecht und Zerstörung geprägten
Vergangenheit eine gemeinsame Zukunft geschaffen werden kann und welche
Rolle die Kultur dabei spielt“, sagt Christiane Solte-Gresser. Die
Gestaltung dieser Zukunft sei auf kulturelle Praktiken der Reparation
angewiesen. „Gemeint sind damit kulturelle Auseinandersetzungen mit
Beschädigungen, die nicht vergessen, dass Reparation Verletzungen nicht
vollständig heilen kann, sondern dass Spuren der Zerstörung bleiben“,
ergänzt die Literaturwissenschaftlerin. Dazu gehörten mündliches und
schriftliches Erzählen, (Sprach-)Rituale, aber auch die Musik, bildende
Kunst und Lyrik sowie Geschichtsschreibung, Filme, Theater oder
Ausstellungen.
Hintergrund: Käte Hamburger Kolleg
Das Käte Hamburger Kolleg widmet sich kulturellen Praktiken der Reparation
und fragt, wie kulturelle Reparationsprozesse Weltwahrnehmung,
Selbstentwürfe und Lebensformen für die Zukunft verändern. Es wurde von
Markus Messling und Christiane Solte-Gresser eingeworben und wird vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung für zunächst vier Jahre mit
rund neun Millionen Euro gefördert. Eine Verlängerung auf bis zu zwölf
Jahre ist möglich, womit rund 25 Millionen Euro Fördergelder ins Saarland
fließen würden. Jedes Jahr erhalten zwölf Gastwissenschaftlerinnen und
Gastwissenschaftler, sogenannte Fellows, sowie eine Künstlerin oder ein
Künstler die Gelegenheit, in Saarbrücken zu forschen und zu leben.