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nterview mit Alain Aerni: Wohnen in der Kristallkugel

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Alain Aerni probt den Blick in die Zukunft: Die von ihm entworfene
Energiesteuerung «Crystalball» verbindet Photovoltaik, Wärmepumpe und
Ladestationen und schätzt den Energiebedarf mit Hilfe von Wetterberichten
voraus. An der Empa-Akademie präsentierte er im Herbst 2020 sein System.

Herr Aerni, Sie sind Ingenieur und haben ihr eigenes Wohnhaus, das 20
Jahre alt ist, energetisch optimiert. Diese Dienstleistung bieten sie mit
ihrer Firma Soleco auch anderen Hausbesitzern an. Mit welcher Idee sollte
man anfangen, wenn man so ein Projekt starten möchte?

Es fängt immer mit den Bedürfnissen des Kunden an. In einem ersten Schritt
sollte man den Heizwärmebedarf des Hauses ermitteln. Was brauche ich, um
übers ganze Jahr eine Raumtemperatur von 22 Grad Celsius zu erreichen? Wie
hoch ist mein Warmwasserverbrauch? Möchte ich allenfalls bald ein oder
zwei Elektroautos in der Garage laden, und wie viele Kilometer möchte ich
damit täglich fahren?

Brauche ich eine Speicherbatterie, wenn ich ein Elektroauto anschliessen
will?

Wenn Sie Solarenergie in ihrem Haus besonders wirtschaftlich nutzen
wollen, sollten Sie gegenwärtig noch auf eine Speicherbatterie verzichten.
Falls Sie also Tage mit Homeoffice haben, können Sie das Elektroauto an
diesen Tagen laden und am nächsten Tag damit fahren. Nur wer tagsüber
immer unterwegs ist und zugleich mit eigenem Solarstrom laden will, kommt
um eine Speicherbatterie nicht herum.

Was muss der Kunde noch berücksichtigen?

Wichtig ist die Frage, wie lange man noch in seinem Haus zu bleiben
gedenkt. Der Zeithorizont beeinflusst die Auswahl der Komponenten. Es gibt
langlebige Bauteile, wie etwa eine Erdwärmesonde – ein sehr effizientes
System, um ein Haus zu heizen. Die sind für 50 Jahre Nutzungsdauer
ausgelegt, aber sie amortisiert sich auch erst über Jahrzehnte. Kunden,
die nur zehn bis 15 Jahre vorausplanen möchten, empfehle ich lieber eine
Luft-Wasser-Wärmepumpe.

Und wenn ich meinen Wärmebedarf kenne und meinen Zeithorizont, dann kann
es losgehen?

(lächelt) Nein, noch nicht ganz. Jetzt kommt der Faktor Lärm ins Spiel.
Wenn Sie eine Luft-Wasser-Wärmepumpe nutzen und mit Solarstrom vom eigenen
Dach betreiben, dann ist das sehr effizient. Aber so eine Anlage macht
Lärm und kann die Nachbarn stören. Wenn Sie ein Einfamilienhaus mit viel
Umschwung haben, ist das kein Problem. Für ein grosses Mehrfamilienhaus
brauchen Sie grössere Maschinen: grössere Lüfter, grössere Kompressoren.
In einer eng bebauten Nachbarschaft wird das schwierig.

Das wird dann von der Baubehörde möglicherweise nicht bewilligt?

Stimmt. Sie müssen die Grenzwerte einhalten. Zum Glück gibt es auch
sogenannte Split-Geräte: Dort sind nur der Verdampfer und der Ventilator
aussen angebracht, der Kompressor ist im Haus verbaut. Diese Geräte sind
leiser.

Man muss also einen Berater haben, der einen durch die Angebote lotst, die
es auf dem Markt gibt.

Ja. Doch man sollte nicht nur über die Wärmepumpe nachdenken, sondern von
Anfang an das gesamte System im Auge haben: die Wärmepumpe, die Grösse der
Photovoltaikanlage, den Warmwasserspeicher, die Elektroautoauto-
Ladestation, die Storen für die Beschattung und allenfalls noch die
Speicherbatterie. Sie wollen ja alles gemeinsam steuern, damit alles
optimal zusammenspielt. Die Komponenten, die Sie kaufen, müssen also mit
der zentralen Steuerung kommunizieren können.

Gibts da kein «Plug-and-Play», keinen gemeinsamen Standard?

Wir sind da noch nicht weit genug. Es gibt etwa einen gemeinsamen Standard
für die Steuerung von Wärmepumpen, das «SG Ready Label». Doch damit sind
nicht alle Funktionalitäten abgedeckt, die man für ein gutes System haben
muss. Das SG Ready Label muss weiterentwickelt werden. Wir sind mit
Partnern dran, einen gemeinsamen Standard vorzuschlagen. Doch zugleich
gibt es immer mehr Hersteller, die ihre Systeme nach aussen hin
abschotten, um ihren Marktanteil auszubauen.

Wieviel Vernetzung ist sinnvoll? Kann man da auch übertreiben?

Wenn man effizient sein will, muss man vor allem die grossen Verbraucher
im Auge haben: Heizung, Warmwasserbedarf, Elektromobilität und
Speicherbatterie. Es ist nicht entscheidend, wann die Waschmaschine und
der Tumbler laufen. Die kann man per Hand einschalten. Wichtig ist dagegen
Berücksichtigung der Sonneneinstrahlung. Unsere Steuerung «Crystalball»
(siehe Box) kann mit Hilfe des Wetterberichts das die Erwärmung an
sonnigen Tagen und die Wärmeverluste bei kaltem Wind voraussagen, und so
die Wärmepumpe sparsamer und gezielter einsetzen.

Sie kühlen Ihr Haus seit dem Umbau auch mit eigenem Solarstrom. Sie haben
ihre 20 Jahre alte Fussbodenheizung zu einer Fussbodenkühlung umgebaut.
Geht das so einfach?

Dazu muss man nicht einmal etwas umbauen. Wichtig ist nur, dass das
Wasser, das durch den Boden läuft, nicht zu kühl ist. Sie brauchen also
eine regulierbare Wärmepumpe, deren Leistung zur Fläche passt, die Sie
kühlen möchten.

Wie gross muss die Photovoltaikanlage auf dem Dach dimensioniert sein?
Kann man da übertreiben?

Es gibt sicher ein Optimum, das zum Energiesystem des Hauses passt. Wenn
Sie ihre gesamte Dachfläche mit Fotovoltaik belegen, sind sie sicher
darüber. Aber das ist nicht schlimm.

Warum?

Denken Sie an die Nachbarn. Sie können innerhalb des Quartiers Strom an
andere liefern, die noch keine Photovoltaik haben. Und denken Sie an die
gesamte Landesversorgung. Im Winter, wenn die Sonne flach steht, sind wir
um jedes bisschen Solarstrom froh, das wir ins Netz speisen können. Wir
können in Zukunft aus Überschussstrom auch Wasserstoff herstellen. Das
lohnt sich natürlich nicht in einem einzelnen Einfamilienhaus. Aber
irgendwann wird es Anbieter geben, die uns Hausbesitzern im Sommer den
Strom abkaufen und daraus Wasserstoff machen.

Na, dann ist ja alles auf bestem Wege in Richtung Energiewende!

Naja, es gibt da schon noch einen Konflikt: Einige Elektrizitätsversorger
möchten mit Sperrzeiten Geräte mit grossem Energiebedarf – zum Beispiel
Wärmepumpen und Ladestationen – so steuern, dass das Netz entlastet wird.
Dies führt dazu, dass sie Ihre Wärmepumpe vielleicht gerade dann nicht in
Betrieb nehmen können, wenn sie mit Ihrer Photovoltaik am meisten Strom
produzieren. Sie müssten den Strom dann zu einem sehr niedrigen Tarif an
den Elektrizitätsversorger verkaufen. Der optimiert seine Gewinnzone in
diesem Fall auf Kosten der Hausbesitzer.

Eine zentrale Steuerung ist aus Gründen der Netzstabilität aber nötig,
oder?

Ich möchte das als Hauseigentümer eindeutig nicht. Und das ist auch nicht
nötig.

Wie würden denn Sie das Problem lösen?

Ich kann mit meinem Steuerungssystem zu einem stabilen Stromnetz
beitragen, ohne dass jemand von aussen Zugriff hat. Mein System ist auf
Kostenoptimierung eingestellt. Der Elektrizitätsversorger muss mir nur die
variablen Tarife bekannt geben – möglichst acht oder sogar 24 Stunden im
Voraus, dann wird «Crystalball» die Wärmepumpe und andere Stromverbraucher
automatisch auf die richtige Weise einsetzen.

Dieses Gebäude, in dem wir hier sitzen, ist ein beträchtlicher
Energiespeicher: Jedes Grad Temperatur in den Mauern bedeutet 74
Kilowattstunden Energie. Wenn heute Abend der Stromtarif hoch ist, und
jetzt ist er niedrig, dann heize ich ein paar Stunden voraus und heute
Abend nicht mehr – und habe damit das Stromnetz wirkungsvoll entlastet.
Trotzdem ist es im Haus angenehm warm. Wir müssen also nur Tarife
kommunizieren und den Markt spielen lassen, dann kann jeder Eigentümer
auch die Hoheit über seine Hausinstallationen behalten. Und trotzdem wird
die Energiewende gelingen.

Alain Aerni

Geboren: 3. Mai 1960 in Moudon /VD.
Ausbildung: Dipl. Ing. EPFL und Master in Science of Management
Massachusetts Institute of Technology (MIT).
Beruf: Gründer und CEO der Soleco AG, Maur
Auszeichnung: Digital Journey Award 2018 des Centre d’Electronique et de
Microtechnique (CSEM). Verliehen für die Entwickung einer Plattform zum
Management erneuerbarer Energien in Gebäuden.