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Autopsiestudie zeigt: Bei Kontaktsportarten können wiederholte Kopftraumata zu Hirnschäden und Parkinsonismus führen

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Rezidivierende Schädelprellungen, z. B. bei Kontaktsport, können zu einer
chronischen traumatischen Enzephalopathie (CTE) führen. Dabei können auch
Parkinson-ähnliche Symptome auftreten (Parkinsonismus). In einer aktuellen
Autopsie-Studie wurden fast 500 Gehirne von Kontaktsportlern mit CTE
untersucht, von denen ca. ein Viertel Parkinsonismus hatte. Die
histopathologischen Ergebnisse deuten darauf hin, dass regelmäßige
Kopfprellungen mit dem Auftreten von Parkinsonismus in Zusammenhang
stehen.

Wiederholte Schädeltraumata, wie sie bei Kontaktsportarten durch
regelmäßige Kopfprellungen („repetitive head impacts“) auftreten, können
zum Krankheitsbild der chronischen traumatischen Enzephalopathie (CTE)
führen. Die CTE geht nicht nur mit kognitiven und neuropsychiatrischen
Symptomen einher, sie löst eine fortschreitende neurodegenerative
Erkrankung aus, bei der es zur Akkumulation von Tau-Protein und Parkinson-
ähnlichen Symptomen (Parkinsonismus) kommt. Dieser Vorgang wird
offensichtlich durch wiederholte Kopftraumata begünstigt, wie eine
aktuelle Studie [1]  zeigt. Demzufolge werden neuropathologische Prozesse
in der Substantia nigra ausgelöst, die bei CTE zu Parkinson-ähnlichen
Symptomen führen.

Die Querschnittsstudie untersuchte bei Verstorbenen, die jahrelang
Kontaktsportarten (American Football, Hockey, Fußball, Ringen, Boxen,
Bobfahren, Turmspringen, Lacrosse, Kampfsport, Rugby und Skifahren)
ausübten und an CTE litten, die Häufigkeit von Parkinson-ähnlichen
Symptomen sowie den Zusammenhang zwischen regelmäßigen Kopfprellungen,
neuropathologischen Veränderungen und Parkinsonismus. Die analysierten
Daten stammten von 481 männlichen Gehirnspendern einer US-amerikanischen
Autopsie-Datenbank; die überwiegende Mehrzahl, 413 von 481, waren American
Football Player. Es wurden klinische und neuropathologische Merkmale bei
CTE-Betroffenen mit und ohne Parkinsonismus analysiert. Gesucht wurde
besonders nach Veränderungen in der Substantia nigra, der Hirnregion, die
auch bei M. Parkinson betroffen ist. Zu den neuropathologischen Merkmalen
gehören Neuronenverluste, Lewy-Körperchen (die vor allem bei M. Parkinson
und Lewy-Body-Demenz auftreten) und neurofibrilläre Tangles (NFTs, auch
Alzheimer-Fibrillen genannt, die aus aggregierten, hyperphosphorylierten
Tau-Proteinen bestehen).

Im Ergebnis hatten 119 der 481 untersuchten Kontaktsportler einen
Parkinsonismus (24,7 %). Beim Vergleich der Kontaktsportarten waren
American-Football-Spieler von Parkinsonismus signifikant häufiger
betroffen (p=0,02): 108 der 119 Sportler mit Parkinsonismus spielten
American Football (90,8 %), in der Gruppe, die keinen Parkinsonismus
aufwies, waren es 305 von 362 (84,3 %).

Insgesamt wiesen die Patienten mit Parkinsonismus ein höheres CTE-Stadium
auf; so hatten 29,4 % der Kranken mit Parkinsonismus ein CTE-Stadium IV
(gegenüber 10,8 % ohne Parkinsonismus). Das mittlere Sterbealter von CTE-
Patienten mit Parkinsonismus war signifikant höher (71,5 ± 13 Jahre) als
bei CTE-Patienten ohne Parkinsonismus (54,1 ± 19,3 Jahre; p<0,0019).
Parkinsonismus-Betroffene waren zudem älter, hatten höhere Demenzraten
(87,4 % vs. 29,0 %), häufiger visuelle Halluzinationen (37,8 % vs. 14,1 %)
und REM-Schlafverhaltensstörungen (43,7 % vs. 16,0 %; p<0,001 für alle).

In der vorliegenden Studie waren neben dem Alter zum Zeitpunkt des Todes
auch mehrere Pathologien der Substantia nigra signifikant mit
Parkinsonismus assoziiert. So fanden sich bei Parkinsonismus signifikant
häufiger nigrale NFTs (bei 42,7 % vs. 29,9 %; p=0,01), stärkere
Neuronenverluste (bei 52,1 % vs. 17,1 %; p<0,001) und häufiger Lewy-
Körperchen (bei 24,1 % vs. 5,8 %; p<0,001). Traten sowohl Neuronenverlust
als auch Lewy-Körperchen auf, war die Assoziation zum Parkinsonismus
besonders hoch.

Wie lange der Sport ausgeübt worden war, schien dabei nicht
ausschlaggebend für die Entwicklung eines Parkinsonismus zu sein. Diese
Beobachtung steht im Gegensatz zu vorherigen Studien. Allerdings waren in
dieser Erhebung nur Sportler mit CTE analysiert worden, die erhebliche
Belastungen durch regelmäßige Kopfprellungen aufwiesen. Alle lagen über
dem vormals ermittelten Schwellenwert für ein erhöhtes Parkinsonismus-
Risiko (etwa vier Jahre). Auch ergab die Subgruppenauswertung der
American-Football-Spieler, dass die Anzahl der Jahre, in denen der Sport
aktiv ausgeübt worden war,  mit NFTs assoziiert waren. In der Analyse
wurde herausgearbeitet, dass nigrale NFTs und Neuronenverluste den
Zusammenhang zwischen Spieljahren und Parkinsonismus vermittelten.

Insgesamt kommt das Team zu dem Schluss, dass wiederholte Kopftraumata
neuropathologische Prozesse auslösen könnten, die im Verlauf zu Parkinson-
Symptomen führen. Eine Studienlimitation sei jedoch, wie das Autorenteam
einschränkend angibt, dass  eine Kontrollgruppe von Gehirnspendern mit
Parkinsonismus ohne CTE fehlte. Auch können Erinnerungsfehler bei den
retrospektiv befragten Angehörigen nicht ausgeschlossen werden.

„Seit einiger Zeit mehren sich die Hinweise, dass rezidivierende
Kopfprellungen das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen erhöhen, was
diese aktuelle Studie bestätigt“, konstatiert Prof. Dr. med. Peter Berlit,
Pressesprecher und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für
Neurologie (DGN). „Die DGN spricht sich daher für Präventionsmaßnahmen
aus.  Bei Sportarten mit besonders hohem Risiko für wiederholte
Kopftraumata wie American Football oder Kampfsportarten sollten Helme
getragen werden.“ Aufgrund früherer Erhebungen hat die DGN bereits
Präventionsmaßnahmen für Kinder beim Fußball gefordert [2].

[1] Adams JW, Kirsch D, Calderazzo SMet al. Substantia Nigra Pathology,
Contact Sports Play, and Parkinsonism in Chronic Traumatic Encephalopathy.
JAMA Neurol. 2024 Jul 15:e242166
https://jamanetwork.com/journals/jamaneurology/article-abstract/2820667
[2] https://dgn.org/artikel/fussball-kunftig-besser-mit-kopfschutz