Kommentar zu EU-Politik am Westbalkan: Der EU droht ein geopolitisches Fiasko – schuld daran ist sie selbs
Die Rückkehr Donald Trumps ins Amt des US-Präsidenten könnte am Westbalkan
enormen Schaden anrichten. Aber nur deshalb, weil die EU mit ihrer Politik
in dieser für sie so bedeutenden Region seit Jahren scheitert.
Der
Südosteuropaexperte Prof. Dr. Ulf Brunnbauer, Direktor des Leibniz-
Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung, kommentiert:
Was die EU jetzt bräuchte, wäre Widerstandsfähigkeit gegen Druck aus
Washington. Doch zumindest am Westbalkan sieht es dürftig aus. Die EU-
Erweiterung in der Region stockt seit Jahren, statt-dessen ist der
Einfluss Brüssels zuletzt immer geringer geworden, anders als der von
China oder teils Russland. Ein geopolitisches Fiasko droht, aber auch ein
Glaubwürdigkeitsproblem der EU: Warum soll sie als außenpolitischer Akteur
auf anderen Kontinenten ernst genommen werden, wenn es ihr nicht mal
gelingt, eine Handvoll kleiner Balkanländer zu integrieren – trotz
jahrelanger Versprechungen? Wenn sie scheitert in einer Region, die
zentral ist für ihre eigene Stabilität und Sicherheit?
Nun steht auch noch die Rückkehr Donalds Trumps ins US-Präsidentenamt
bevor. Das wird für den Balkan und die EU-Erweiterungen schwerwiegende
Konsequenzen haben. Denn bislang zogen Brüssel und Washington zumindest in
den meisten Fällen an einem Strang, etwa beim leidigen Disput zwischen
Serbien und Kosovo, bei Fragen zur inneren Verfasstheit Bosniens oder dem
Konflikt zwischen Mehrheitsbevölkerung und albanischer Minderheit in
Nordmazedonien. Dagegen ist Kritik an Autokraten oder an korrupter
Amtsführung von der neuen US-Administration nicht zu erwarten. Wie auch?
Wird doch Trumps Schwiegersohn bei Immobilienprojekten in Serbien und
Albanien von den Machthabern hofiert. Gleichzeitig erinnern sich viele
wieder an Ideen, die unter Trump 1.0 lanciert wurden, wie einen
Gebietstausch zwischen Kosovo und Serbien, der nach Ansicht fast aller
Fachleute nicht eine Aussöhnung beider Staaten bringen, sondern die vielen
Territorialstreitigkeiten in der gesamten Region wieder aufflammen lassen
würde. Die EU hätte die vier Jahre seither nutzen können, die beiden
Länder zu einem Kompromiss zu nötigen, verbunden mit einer klaren
Beitrittsperspektive (oder eben einem Abbruch der Verhandlungen). Das ist
nicht geschehen.
Und so müssen wir uns heute noch Sorgen darüber machen, ob die
Westbalkanländer geopolitisch abdriften oder sich zu einer ewigen grauen
Zone mit unterschiedlichen Einflussnahmen von außen und mangelnder
Rechtsstaatlichkeit entwickeln. Dafür tragen nicht nur die politischen
Eliten in diesen Ländern Verantwortung, sondern auch die EU – und zwar
große. Die Europäische Union tut so, als ob sie es mit der Erweiterung
ernst meine, und die Regierungen vor Ort täuschen Reformen vor. Insofern
wird der zu erwartende Nihilismus der zukünftigen US-amerikanischen
Balkanpolitik auch ein Moment der Klarheit sein. Vielleicht zieht man dann
endlich die richtigen Lehren.
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Ausführlicher Kommentar unter: https://ostblog.hypotheses.org
Prof. Dr. Ulf Brunnbauer ist Historiker. Er ist Wissenschaftlicher
Direktor des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in
Regensburg.