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„Internationaler Tag der Pflege“: Forschungsprojekt der FH Bielefeld fördert die Digitalkompetenzen in der Ausbildung

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Der 12. Mai ist den Millionen von Menschen gewidmet, die weltweit in
Pflegeberufen arbeiten – systemrelevant, anspruchsvoll und im Wandel
begriffen. Denn der Einsatz digitaler Technologien stellt neue
Anforderungen, die jetzt in einem neuen Bachelor-Modul Niederschlag
finden.

Bielefeld (fhb). Zum Geburtstag von Florence Nightingale erinnert der Tag
der Pflege am 12. Mai jährlich an die Leistungen der Pflegefachkräfte auf
der ganzen Welt. Doch seit den Lebzeiten der wohl berühmtesten
Krankenschwester hat sich viel geändert. Smartphone-Apps, schlaue Sensoren
und Video-Telefonie können die Pflege nachhaltig verbessern – wenn
Pflegekräfte wissen, wie man sie sinnvoll einsetzt.  Wie wirkt sich die
Digitalisierung auf die Pflegeberufe aus? Wie verändern sich
Pflegeprozesse? Und welche Anforderungen entstehen daraus für die
Pflegekräfte der Zukunft? Mit diesen Fragen haben sich die Forscherinnen
Annika Behler und Sarah Palmdorf im Forschungsprojekt „DiFuSiN – Digital
Future Skills in Nursing“ am Fachbereich Gesundheit der Fachhochschule
(FH) Bielefeld beschäftigt.

Das Ziel: Die Entwicklung eines Bachelor-Moduls, mit dem angehende
Pflegekräfte auf die zukünftigen Anforderungen im Pflegeberuf vorbereitet
werden – insbesondere im Hinblick auf die Veränderungen, welche die
Digitalisierung mit sich bringt. Das Forschungsprojekt war im Institut für
Bildungs- und Versorgungsforschung angesiedelt und wurde von den
Professorinnen Christa Büker und Änne-Dörte Latteck geleitet.

Digitalisierung stellt Pflegekräfte vor neue Herausforderungen

Pflegeprozesse und pflegerisches Handeln werden zunehmend durch den
Einsatz digitaler Technologien geprägt. Mobile Endgeräte werden bei
Visiten verwendet, Software wird zu Planungs- und Dokumentationszwecken
eingesetzt, und intelligente Sensortechnik hilft bei der Überwachung von
Vitalparametern wie Blutdruck und Herzfrequenz. Der Einsatz dieser
Technogien stellt neue Anforderungen an die Pflegekräfte, die diese
technischen Systeme in ihre Abläufe mit integrieren müssen. Nicht nur
Medienkompetenz ist hier Voraussetzung fürs pflegerische Handeln, auch
gänzlich neue Kompetenzen sind gefordert, wie zum Beispiel die
Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Fragen beim Umgang mit
elektronischen Patientendaten. Trotzdem spielt die Vermittlung digitaler
Kompetenzen für den Pflegeberuf in bestehenden Pflegestudiengängen bisher
eine untergeordnete Rolle und kommt in den Curricula in der Regel nicht
vor.

„Digitale Kompetenzen der Pflegenden sind bisher ein marginales Thema“,
stellt Sarah Palmdorf fest. Die Pflegewissenschaftlerin hat sich bereits
im Rahmen eines vorangegangenen Forschungsprojekts mit dem Spannungsfeld
Technik und Pflege auseinandergesetzt. „Mit dem DiFuSiN-Projekt reagieren
wir nun auf die aktuellen Entwicklungen und erforschen, welche Kompetenzen
den angehenden Pflegekräften vermittelt werden müssen, damit sie die neuen
Herausforderungen meistern können.“ Das Ergebnis dieser Forschungsarbeit
wird dann, so das Ziel, das gleichnamige Modul „Digital Future Skills in
Nursing“ sein. Es soll im sechsten Semester des ausbildungsintegrierten
Bachelorstudiengangs Pflege angeboten werden.

Fallszenarien sind Mittel der Wahl bei der Vermittlung der Future Skills

Drei grundsätzliche Aspekte mussten bei der Entwicklung des Moduls
beachtet werden: Erstens, die zahlreichen Einsatzmöglichkeiten von
Hardware wie Tablets, Smartphones und Sensoren, aber auch Softwarelösungen
und Apps, die in der Pflege unterstützen können. Zweitens, das rasante
Tempo der technischen Entwicklung, das schnelle Reaktionen auf
Veränderungen notwendig macht und drittens die sehr unterschiedlichen
Einsatzszenarien in den verschiedenen Feldern der Pflege.

Der Fokus des neuen Moduls liegt deswegen nicht allein auf der Vermittlung
von Medienkompetenz. Vielmehr sollen die angehenden Pflegekräfte in die
Lage versetzt werden, die Herausforderungen der Digitalisierung in ihren
beruflichen Handlungsfeldern zu erkennen, zu verstehen und flexibel mit
der Situation umzugehen. Zu diesem Zweck wurde für die Modulinhalte das
Format des Fallszenarios gewählt. Hierbei wird immer am Beispiel konkreter
Situationen erarbeitet, wie eine bestimmte Technologie bei einer
pflegerischen Handlung eingesetzt werden kann. Ausgangspunkt der
Fallszenarien sind also berufliche Handlungssituationen, bei denen
Fragestellungen zu den neuen Technologien eine Rolle spielen. Zu diesen
Fragestellungen sollen die Studierenden dann Lösungen erarbeiten.

Annika Behler, die „Bildung und Medien: eEducation“ studiert hat und für
die bildungswissenschaftliche Perspektive im Team verantwortlich gewesen
ist, erläutert: „Die Studierenden sollen reflektieren, was sie in den
Situationen von der Technik erwarten können. Sie sollen sich mit den
Fragen auseinandersetzen: Wie nutze ich das und wie setze ich die Technik
zur Unterstützung des Pflegeprozesses ein?“ Das Format des Fallszenarios
birgt mehrere Vorteile: Einerseits ermöglicht es den Studierenden ein
anschauliches, praxisnahes und selbstgesteuertes Lernen. Andererseits
bieten die Szenarien perspektivisch Anknüpfungspunkte für den Umgang mit
zukünftigen Technologien.

Ein interdisziplinärer und partizipativer Ansatz prägt die
Modulentwicklung

Nach einer Literaturrecherche begann die Modulentwicklung, die durch einen
interdisziplinären und partizipativen Ansatz geprägt gewesen ist.
Insgesamt wurden ca. 30 Interviews mit Fachleuten der Disziplinen Technik,
Informatik, Pädagogik, Gesundheits- und Pflegewissenschaft sowie
Instructional Design durchgeführt. Aus dem Handlungsfeld der Pflege wurden
Expertinnen und Experten aus dem Bereich Pflegemanagement, aus der
Industrie und Alumni von Pflegestudiengängen befragt. Viele verschiedene
Fragen mussten beantwortet werden: Welche Technologien und Systeme werden
heute im Pflegekontext eingesetzt, und wie setzt man sie ein? Welche
Anforderungen ergeben sich hieraus für die Pflegekräfte? Welche
Lehrkonzepte sollten bei der Erstellung der Fallszenarien berücksichtigt
werden?

Die Beteiligung und das Zusammenspiel der verschiedenen Personen und
Disziplinen haben sich positiv auf die Entwicklung des Moduls ausgewirkt:
„Der partizipative Ansatz war für mich das Besondere an diesem Projekt“,
sagt Sarah Palmdorf. „Die Expertinnen- und Experteninterviews haben unsere
Vorgehensweise, die abgeleiteten Kompetenzen und den generellen Inhalt
maßgeblich beeinflusst. Aus den Erfahrungen der Expertinnen und Experten
konnten wir wichtige Hinweise zur Konzeption und Ausgestaltung der
Fallszenarien ableiten.“

Im Anschluss an die Interviews wurden die Fallszenarien thematisch
festgelegt und entwickelt. „Insgesamt haben wir acht Fallsituationen
erarbeitet, die ganz verschiedene Schwerpunkte der Digitalisierung in der
Pflege in den Blick nehmen“, berichtet Annika Behler. Zum Beispiel geht es
im Szenario „Distance Caregiving bei Demenz“ um die Möglichkeit,
Demenzerkrankte und ihre Angehörigen mit Hilfe von Videotelefonie
(Telecare) von der Ferne aus zu unterstützen. Die Unterstützung kann somit
ortsunabhängig und bei Bedarf auch schneller erfolgen, als es ohne die
Technik möglich ist.

Digitale Hilfsmittel in der ambulanten Pflege und Apps für die
Blutzuckerkontrolle

Im Szenario „Digitale Dokumentation in der ambulanten Pflege“ wird
thematisiert, inwieweit die Prozesse in häuslichen und mobilen
Pflegesituationen durch Mobile Dokumentationsassistenten (MDA) optimiert
werden können. Den Schwerpunkt bilden hier Smartphones und die
entsprechenden Softwarelösungen, mit denen Checklisten abgearbeitet und
Patientendaten unkompliziert zugeordnet und gespeichert werden können.
Im Szenario „Blutzuckerwertkontrolle per App“ setzen sich die angehenden
Pflegefachkräfte damit auseinander, wie Blutzuckerwerte mit einem
Smartphone und dem dazugehörigen Sensor am Patienten überwacht werden
können. Hierdurch wird einerseits der Arbeitsablauf der Pflegenden
erleichtert und andererseits den Patienten ein selbstbestimmter Umgang mit
den für sie lebenswichtigen Vitalparametern ermöglicht.

Digitale Lehr- und Lernszenarien sowie Open Educational Resources

Nun mussten aus den konkreten Fallszenarien geeignete Lehrmaterialien
erstellt werden: Die Fallszenarien wurden dafür medial so aufbereitet,
dass sie in Form digitaler Lehr- und Lernszenarien am Computer bearbeitet
werden können. Sie sind für die Bearbeitung in Gruppenarbeit ausgelegt,
sodass sich die angehenden Pflegekräfte gemeinsam mit den Fragestellungen
auseinandersetzen können.

Darüber hinaus begünstigt das digitale Format die Verbreitung der
Forschungsergebnisse: Die Fallszenarien wurden in dem neuen Online-
Landesportal ORCA.nrw (Open Resources Campus NRW) als Open Educational
Resources (OER) unter einer freien Lizenz veröffentlicht. Sie sind somit
auch anderen Hochschulen zugänglich und können dort bei der Vermittlung
von Future Skills in der Pflege eingesetzt werden. An der FH Bielefeld
wird das Modul als Teil des Bachelorstudiengangs Pflege das erste Mal im
Sommersemester 2023 gelehrt werden.

Bundesweit stellt das Modul ein Alleinstellungsmerkmal dar. Es ist ein
Beispiel für den erfolgreichen Transfer von aktueller Forschung in die
Lehre. Das Forschungsprojekt „DiFuSiN“ wurde am Ende des Jahres 2021 nach
1,5 Jahren Laufzeit abgeschlossen. Gefördert wurde es vom Ministerium für
Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen in Kooperation mit
dem Stifterverband und der Digitalen Hochschule NRW im Förderprogramm:
Curriculum 4.0.nrw.